Die SPD in Sachsenhausen, Frankfurts größtem Stadteil, ist ein sehr lebendiger Ortsverein, der sich mindestens einmal im Monat trifft, um politisch aktiv zu werden. Derzeit zählen wir über 300 Mitglieder, mit steigender Tendenz, und sind damit mit Abstand der größte SPD Ortsverein Frankfurts. Eine ungewöhnlich bewegte Geschichte zeichnet den Ortsverein aus, der sich erst 2007 nach jahrzehntelanger Spaltung wiedervereinigte. Unsere Arbeit in Sachsenhausen wird geprägt durch eine recht heterogene Bevölkerung und Struktur – Sachsenhausen hat sehr verschiedene Gesichter und ist aus diesem Grund ein besonders interessanter Stadtteil. Ebenso unterschiedliche Facetten, Interessen und Persönlichkeiten bringen unsere Mitglieder, wie auch die jüngst neu gewählten Vorstandsmitglieder in die politische Arbeit ein. Was uns aber alle vereint, ist das Bekenntnis zu den Werten der Sozialdemokratie und der sozialen Gerechtigkeit, die wir im Kleinen, in der wichtigen Detailarbeit vor Ort, wie auch in der Stadt-, Landes- und Bundespolitik umsetzen wollen.
1955 – Das Jahr der Teilung
Offiziell startet das Parteileben ins Jahr 1955 im Distrikt Sachsenhausen so beschaulich wie all die Jahre davor. Für die Jahreshaupt- versammlung am 28. Januar 1955 wird fristgemäß eingeladen. Die Genossinnen und Genossen werden gebeten, sich um 19.50 Uhr in der Aula der Fachschule V am Frankensteiner Platz einzufinden, damit man die Schule pünktlich um 22.00 Uhr wieder räumen könne. Auf der Tagesordnung stehen die Punkte „1. Geschäfts- und Kassenbericht der Genossen Ewald und Gerhold. 2. Aussprache 3. Wahl der Distriktsleitung 4. Stellungnahme zur Jahreshauptversammlung des Unterbezirks 5. Anträge und Wahl der Delegierten.“ Die Einladung schließt mit den Worten „Zur Beachtung! Auf Anordnung der Schulbehörde darf nicht geraucht werden.“
Doch an diesem und am folgenden Abend steht auf einmal die Teilung des Distrikts Sachsenhausen auf der Agenda. Angeblich zirkulieren schon seit Wochen parteiinterne Listen, aus denen hervorgehe, dass der Vorstand der Frankfurter SPD eine Teilung des Distrikts wünsche. In einer spontanen Abstimmung lehnen 70 Prozent der anwesenden Mitglieder die Teilung von Sachsenhausen ab. Daraufhin erklärt eine Gruppe von Sozialdemokraten um Joseph Lang (damals kurz „Jola“ genannt), die für die Teilung votiert hatten, dass „er und seine Freunde es ablehnen, im kommenden Distriktsvorstand weiter mitzuarbeiten.“
Auslöser der Teilung
Auslöser für den Wunsch nach Teilung des Distrikts ist – neben persönlichen Konflikten zwischen Ewald und Lang – die Nominierung der Kandidaten für die Bundestagswahl 1953. Ein Teil der Sachsenhäuser um Jola unterstützt den Bundestagsabgeordneten Hermann Brill, der von 1949 bis 1953 u.a. im Auswärtigen Ausschuss, im Rechts- und Verfassungsausschuss und im Berlin- und Gesamtdeutschen Ausschuss saß. Brill war zuvor bis 1949 Chef der hessischen Staatskanzlei in Wiesbaden gewesen und hatte als Mitglied des Verfassungskonvents am Grundgesetz für Deutschland mitgearbeitet. Als Honorarprofessor unterrichtete er das Studienfach Politologie, das er selbst an den Universitäten in Frankfurt und Speyer eingeführt hatte. Aufgrund der politischen Kompetenz von Brill setzt sich Jola wortreich für einen guten Listenplatz des Bundestagsabgeordneten ein. Doch die Mehrheit der Sachsenhäuser Sozialdemokraten entscheidet sich für die Frauenbeauftragte des hessischen DGB Lucie Beyer. Ihre Erfahrungen aus der Nachkriegszeit, in der sie u.a. für die Betreuung von Flüchtlingstransporten zuständig war, nutzt Beyer, um mit ihren berühmten „Nähstuben“ ein wichtiges Forum für den Gedanken- und Erfahrungsaustausch von Frauen zu schaffen. So bindet sie sie in den gewerkschaftlichen Wiederaufbau ein. Nach ihrer Wahl im Jahr 1953 setzt Beyer sich als Bundestagsabgeordnete vehement für die Senkung der Verbrauchssteuern auf Streichhölzer, Zucker, Salz, Tee und Kaffee ein. Ihr Engagement für neue Steuerregelungen machen diese Güter in den 50er Jahren auch für weniger gut betuchte Menschen erschwinglich und bringt Beyer, die nach ihrer Hochzeit 1965 Kurlbaum-Beyer heißt, den Spitznamen „Bundeskaffeetante“ ein. Ihre Nominierung empfindet Lang, damals Leiter der Buchhandlung im Frankfurter Gewerkschaftshaus und intellektueller Kopf, als unglaublichen Affront von Brill. Doch Jola hat keine Chance, sich gegen den ausgesprochen populären Distriktsleiter von Sachsenhausen Willi Ewald, der für die Nominierung von Beyer votiert, durchzusetzen.
Das hat Folgen. Am 13. April 1955 kommt es in der Aula der Riedhofschule zu einer Zusammenkunft, zu der nur ein bestimmter Kreis an Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus dem westlichen Sachsenhausen eingeladen wird. Allerdings ist der Frankfurter Parteivorstand über diese Veranstaltung unterrichtet. Denn die Einladung ist – außer von Joseph Lang, Gert Gniffke, Hans Misbach, Hans Riepl, Emil Neun, Walter Maier, Hans Wöll und Hermann Reiners – auch von Karl Wöll, der zu dem Zeitpunkt stellvertretender Parteivorsitzender der Frankfurter SPD ist, unterschrieben. Das Schreiben endet mit einem Parteigruß und den Worten „Zutritt nur gegen Vorzeigung dieser Einladung!“
Willi Ewald und die Spaltung
Erbost über solche Splitter-Tendenzen in seinem Distrikt schreibt Willi Ewald – der übrigens 1947 bei der Wahl des ersten Frankfurter Parteivorstandes zum Unterbezirks-Kassierer gewählt worden war – am 19. April 1955 einen geharnischten Brief an den Frankfurter Parteivorstand: „Werte Genossen! Nachdem der Unterbezirksvorstand allem Anschein nach nicht Willens ist, die Treibereien einer kleinen Gruppe von Genossen in Sachsenhausen zu unterbinden, sehen wir uns genötigt, hierüber Aufklärung zugeben. Bereits vor der Zusammenkunft der Distriktsleitung – also vor der Jahreshauptversammlung – wurden wir davon unterrichtet, dass sich in der Wohnung des Genossen Wöll, der zugleich Mitglied des Unterbezirksvorstandes ist, auf Einladung seines Sohnes ein Teil der Distriktsleitung zusammengefunden hätte, um sich mit der Jahreshauptversammlung zu beschäftigen. In dieser Zusammenkunft sollte ein Beschluss herbeigeführt werden, um eine Mehrheit für eine andere Zusammensetzung in der Distriktsleitung zu erreichen. In der Hauptsache drehte es sich um die Beseitigung des Gen. Ewald und der Gen. Geilers. Als es sich bei dieser Debatte zeigte, dass für diesen Vorschlag keine Mehrheit zu erreichen war, wurde vorgeschlagen, diesen Punkt fallen zu lassen und stattdessen als Punkt 1 die „Teilung des Distriktes“ in Vorschlag zu bringen. Auf den Einwurf, dass der Gen. Ewald ja auch dann im westlichen Sachsenhausen wohne, bemerkte der Gen. Gniffke: „das lasse unsere Sorge sein, den verdauen wir dann schon“. In der darauf folgenden Distriktsvorstandssitzung, als auch in der Vertrauensmännersitzung wurde die Teilung des Distriktes mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Nach der Abstimmung erklärte der Gen. Karl Wöll, dass“ – die Jahreshauptversammlung souverän sei und an die Beschlüsse der vorgenannten Gremien nicht gebunden ist‘.“
Im Kreise der Vertrauensleute sei in Anbetracht der Situation sogar ein „Ausschlussantrag wegen parteischädigendem Verhalten“ gegen die Gruppe um Joseph Lang überlegt worden. Das Agieren des stellvertretenden Unterbezirksvorsitzenden Wöll, der die Einladung für die Versammlung in der Aula der Riedhofschule unterzeichnet hatte, wird nicht gerade als fair empfunden. Auf helle Empörung stößt allerdings, dass nicht nur Genossen aus dem westlichen Sachsenhausen, sondern auch „Gesinnungsfreunde dieser Gruppe aus dem übrigen Sachsenhausen“ eingeladen waren. Ewald bemerkt dazu: „Hiermit steht fest, daß es sich bei dieser Aktion nicht um eine örtlich begrenzte, sondern um die Zusammenfassung einer bestimmten Personengruppe handelt.“ und fordert, die Angelegenheit bis zur Delegierten-Versammlung am 15. Mai 1955 ruhen zu lassen. Die Argumentation, dass sich nach einer Teilung des Distrikts mehr Genossinnen und Genossen engagieren, bestreitet der Sachsenhäuser Distriktsleiter. Alle Versuche, mehr Mitglieder an die Parteiarbeit heranzuführen, seien im Laufe der letzten Jahre gescheitert. Als Ursache dafür sieht Ewald den Diskussionsstil von Joseph Lang, der „in seinen vielen Diskussionsreden immer seine negative Einstellung zur Partei bekundet“ habe. In Bonn in der Parteizentrale gebe es übrigens Akten über den Genossen Lang, aus denen hervorgehe, dass er wegen „kommunistischer Betätigung“ Amerika habe verlassen müssen. Ein großer Teil der Unterzeichner der Einladung für das Treffen am 13. April 1955 im Riedhof sei übrigens früher Mitglied in der Kommunistischen Partei gewesen. Schon Ollenhauer habe sich am 30. Januar 1949 anlässlich des Bezirks-Parteitags in Darmstadt-Eberstadt über den Genossen Gniffke und die „Infiltrierung“ der Partei Gedanken gemacht. Ewald schließt seine Ausführungen mit der Überzeugung: „Wenn wir in Sachsenhausen dieser Gruppe Widerstand entgegensetzen, so glauben wir, damit nicht nur den Genossen in Sachsenhausen, sondern der Gesamtpartei gedient zu haben.“
Der Brief von Ewald, dessen autoritärer Führungsstil in Sachsenhausen zu diesem Zeitpunkt umstritten ist, bringt das Fass zum Überlaufen. Am 13. Mai 1955 beschließt die Frankfurter Delegiertenversammlung, den Distrikt Sachsenhausen in Sachsenhausen-Ost und Sachsenhausen-West zu teilen. Die Grenze verläuft über die Holbeinstrasse und dem Letzten Hasenpfad. Alle Straßenzüge, die westlich liegen, zählen ab sofort zu Sachsenhausen-West. Schon fünf Tage später, am 18. Mai 1955, laden die Genossen zur Gründungsversammlung von Sachsenhausen-West ein. In den ersten Vorstand des neuen Distrikts werden von den 86 anwesenden Mitgliedern Emil Neun (Vorsitzender), Hans Wöll (stv. Vorsitzender), Walter Maier (Kassierer) und die Beisitzer Erna Blencke, Hilde Pschunder, Rosel Fischer, Gerd Gniffke, Alfred Körner, Joseph Lang, Hans Misbach, Hans Riepl und Lorenz Schmidt gewählt. Erste Revisoren des neuen Distrikts sind Rainer-Georg Lange, Lorenz Popp und Richard Freyh senior. Auf der Tagesordnung steht außerdem ein Vortrag von Walter Möller über „Das Beispiel Österreich“. In seinem einstündigen Referat schildert der spätere Frankfurter Unterbezirksvorsitzende und Oberbürgermeister die Situation unter dem Aspekt, wie sozialdemokratische Außenpolitik in Zukunft gestaltet werden sollte.
Schlichtungsbemühungen
Um die Gemüter zu beruhigen fordert der Frankfurter SPD-Vorsitzende Georg Stierle am 28. Mai 1955 alle Sachsenhäuser SPD Mitglieder in einem Schreiben auf, weitere Streitereien zu unterlassen, persönliche Verstimmungen zu überbrücken und „sich in sozialistischer Freundschaft und Solidarität“ zusammen zu schließen, um „im neuen Distrikt mit gleicher Aktivität wie bisher tätig zu werden.“
Auf diesen Appell reagiert Willi Ewald hochgradig verstimmt. In einem Rundschreiben, das damals der Vorstand von Sachsenhausen-Ost – neben dem 1. Vorsitzenden auch der stellvertretende Vorsitzende Erwin Blum (Betriebsratsvorsitzender bei Vogt & Häfner), der 1. Kassierer Willi Gerhold und die Beisitzer Willi Arnold (Weißbinder), Fritz Frey (Mitarbeiter der LVA und Stadtbezirksvorsteher), Anni Geiler (Hausfrau und von 1956-1968 Stadtverordnete im Stadtparlament), Herbert Hammerstein, Theo Kopp (1. Vorsitzender der Freien Turner), Fritz Müller sen. (Betriebsratsmitglied bei Vogt & Häfner) und sein Sohn Fritz Müller junior, der Genosse Rontsky (Schulhausverwalter der Heinrich-von-Stephan Schule), Karl Schneider (später Ortvereinsvorsitzender der SPD Oberrad und Sozialbezirksvorsteher) Ernst und Friedel Stahnke (Sozialbezirksvorsteher) und Willi Wild (Landtagsabgeordneter und Betriebsratsvorsitzender der Gießerei D. Stempel AG) – mitträgt, brandmarkt Ewald am 11. Juni 1955 die „unsachliche Versammlungsleitung“ durch den Parteivorsitzenden Stierle. Trotz einer eindeutigen Stellungnahme der betroffenen Genossen habe sich der Unterbezirksvorstand über das Selbstbestimmungsrecht des Distrikts Sachsenhausen massiv hinweg gesetzt. Und Ewald schließt mit den bitteren Worten: „Diese Methode haben wir in dem 1000-jährigen Reich abgelehnt. Wir sind daher nicht gewillt, sie in der S.P.D. als richtig anzuerkennen.“
Weitere Eskalation und endgültiger Vollzug der Spaltung
Aber auch Joseph Lang und Gerd Gniffke wollen die im ersten Brief von Ewald gegen sie erhobenen Vorwürfe keinesfalls auf sich beruhen lassen. Sie fordern am 16. Juni 1955 ein Parteiordnungsverfahren wegen parteischädigenden Verhaltens und Verleumdung. Die Maßlosigkeit und persönliche Gehässigkeit, mit der Ewald seinen Kampf führe, sei nicht weiter hinnehmbar. Er solle juristisch nachprüfbar beweisen, dass es sich a) bei den Befürwortern der Distriktsteilung um eine kommunistische Gruppe handele, b) ein Unterwanderungsversuch im Interesse einer gegnerischen Organisation vorliege, c) die Wortführer Spaltungsabsichten hätten und d) es ihnen aus unlauteren Motiven nur auf Mandate und Posten ankäme. Außerdem ignoriere Ewald die am 13. Mai 1955 beschlossene Teilung des Distrikts Sachsenhausen. Er berufe sowohl Versammlungen und Sitzungen im neuen Distrikt ein und lasse auch die Kassierung einzelner Mitglieder in Sachsenhausen-West durchführen. Dies alles gefährde die Aufbauarbeit des neuen Distrikts.
In der Begründung für das Parteiordnungsverfahren geht der 1. Vorsitzende von Sachsenhausen-West, Emil Neun, sehr detailliert auf Ewald ein. Vor 1933 habe es in Sachsenhausen zwei oder gar drei Distrikte gegeben. Erst seit 1945 sei Sachsenhausen nur ein einziger Distrikt mit Willi Ewald an der Spitze. Der sich zu einem „selbstherrlichen kleinen Diktator mit unerhörter Energie und Arbeitsleistung, der bei jeder auftauchenden Kritik schon mehrmals die Leitung `hinschmiss´, um dann den Triumph des Wieder-gebeten-werdens auszukosten,“ entwickelt habe. Als die Genossen Lang, Winter, Wöll jr. und Gniffke in den Sachsenhäuser Distriktsvorstand gewählt wurden, hätten sie festgestellt, dass Ewald eine eigene Kasse mit eigenem Postscheckkonto führe, in die weder Vorstand noch Kassierer Einblick hätte. „Der Bestand dieser Kasse resultierte aus Spenden von zahlungsfähigen Genossen und Geschäftsleuten für Sommerfeste Weihnachtsfeiern u.a., die über selbstgefertigte Sammellisten eingezogen wurden.“ Es sei außerdem aufgefallen, dass Ewald oft Hauptgewinne bei den Tombolas im Stadtteil gewinne. Ewald verwalte zusätzlich einen „Geheimfond“ und zahle nach Gutdünken Gelder an Leute, die in Not geraten sind, um sie von sich abhängig zu machen. Außerdem verschaffe er über seine nicht geringen Verbindungen etlichen Leuten Arbeitsstellen, die er mit entsprechenden Bedingungen verknüpfe. Es sei unbestritten, dass er bei Weihnachtsfeiern für ältere Genossen Essen und Trinken aus seinem persönlichen Fond zahle und somit „echte Notlagen beseitigt und echte Freude erzeugt“. Aber seine Methode ziele einzig und allein darauf ab, sich die Dankbarkeit der Genossen persönlich zugute kommen zu lassen. Problematisch sei auch, dass immer noch nicht alle Karteikarten zur Kassierung vollständig abgeliefert sind und große Unregelmäßigkeiten im neuen Distrikt festgestellt wurden. Ewald behandele die Gebiete nördlich der Bahn nach wie vor so, als ob der Teilungsbeschluss überhaupt nicht vorliege. „Die Mitgliedschaft, die die internen Vorgänge nicht kennt, wird verärgert und Austritte sind aufgrund dieser Vorgänge schon vorgenommen worden.“ so Neun.
Das ist starker Tobak. Der Frankfurter Parteivorstand sieht sich gezwungen, einzugreifen und beschließt in seiner Sitzung am 20. Juni 1955, den Genossen Erich Scheidt zum Vorsitzenden des Schiedsgerichts zu berufen. Er soll gemeinsam mit den beiden Beisitzern Siegmund Neumann und Erwin Emge das Parteiordnungsverfahren nach §§ 27 und 28 gegen Ewald durchführen. Doch durch Sommerferien und terminliche Gründe der Beteiligten findet die mündliche Verhandlung des Schiedsgerichts erst am 17. Oktober 1955 im Parteibüro an der Bockenheimer Anlage 3 statt. Wegen fortgesetzter Missachtung einer Verfügung des Frankfurter Unterbezirks und eines Beschlusses der Delegiertenversammlung, den Distrikt Sachsenhausen in zwei selbständige Organisationen zu teilen sowie wegen der Abgabe unrichtiger diffamierender Erklärungen über die Genossen Lang und Gniffke wird Willi Ewald nach § 27, Absatz 1 des Organisationsstatutes eine Rüge erteilt. „Lediglich im Hinblick auf die persönlichen Verdienste des Beklagten, die er sich beim Wiederaufbau unserer Partei nach 1945 erworben hatte und der ungewöhnlich starken Verbundenheit des Distriktes Sachsenhausen-Ost mit dem Beklagten, haben das Gericht bewogen, von einer zeitweiligen `Aberkennung des Rechtes auf Bekleidung eines Ehrenamtes´ abzusehen.“ Die Verleumdungen gegen die Genossen Lang und Gniffke werden zurückgewiesen. Abschließend empfiehlt das Schiedsgericht auch allen führenden Genossen im Unterbezirksvorstand, sich in Zukunft „mit Äußerungen und Verdächtigungen“ betreffend der Angelegenheit zurückzuhalten.
Am 3. November 1955 legt Willi Ewald Berufung beim Bezirksvorstand ein. Da er jedoch die vorgeschriebene Einspruchsfrist um vier Tage verpasst, lehnen die Mitglieder des Bezirksschiedsgerichts – Hermann Schaub, Direktor des Landeswohlfahrtsverbandes, Anny Geiler, Fritz Frey, Walter Möller und Betty Arndt die Annahme der Berufung wegen Fristversäumnis am 16. Mai 1956 ab. Ein weiteres Verfahren gegen den Kassierer Bruno Cantuzzi wegen unrechtmäßiger Kassierung im neuen Distrikt Sachsenhausen-West wird wegen geringer Schuld des Beklagten eingestellt. Damit ist im Frühjahr 1956 die Teilung der Sachsenhäuser SPD endgültig vollzogen.
Das Ende der Spaltung am 3. Februar 2007
Im Frühjahr 2006 beschlossen die Jahreshauptversammlungen der beiden Ortsvereine Sachsenhausen-Ost und Sachsenhausen-West, die Wiedervereinigung der beiden Ortsvereine in einem gemeinsamen Ortsverein Sachsenhausen durch eine Mitgliederbefragung vorzubereiten.
Die schriftliche Befragung aller 308 Sachsenhäuser SPD-Mitglieder (207 in Ost, 101 in West) fand vom 8. Dezember 2006 bis 8. Januar 2007 statt. Insgesamt nahmen 111 Mitglieder an der Briefwahl teil. Drei Stimmen waren ungültig. In Sachsenhausen-Ost nahmen 73 (= 35 % Wahlbeteiligung) SPD-Mitglieder an der Abstimmung teil, davon stimmten 69 Mitglieder (= 94 %) mit „Ja, ich bin für die Wiedervereinigung der beiden Ortsvereine“, vier Mitglieder stimmten dagegen. Im Ortsverein Sachsenhausen-West nahmen 35 Mitglieder (= 35 %) an der Briefwahl teil, davon stimmten 33 (= 94 %) mit „Ja“, einer mit „Nein“, eine Stimme war ungültig.
Interessant war, dass 51 Jahre nach der Trennung beide Sachsenhäuser Ortsvereine völlig identisch abstimmten, denn in beiden Ortsvereinen wurde eine Zustimmung von 94 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 35 Prozent für die Wiedervereinigung verzeichnet.
Laut Satzung war dann der Unterbezirksvorstand der Frankfurter SPD gefordert. Dieses Germium grenzt die Ortsvereine nach politischer, wirtschaftlicher und regionaler Zweckmäßigkeit voneinander ab und musste dem Vorhaben zustimmen. Erst danach konnten die beiden Sachsenhäuser Ortsvereine zur ersten gemeinsamen Jahreshauptversammlung einladen. Am 3. Februar 2007 wählten die Sachsenhäuser Sozialdemokraten nach 51 Jahren Trennung erstmals wieder einen gemeinsamen Vorstand. Es wurden gewählt:
* Vorsitzende: Petra Tursky-Hartmann
* Stellvertreter: Klaus Pape, Sylvia Weber (Stadtverordnete)
* Kassierer/ stv. Kassiererin: Thomas Müller, Frank Jäger
* Schriftführerin/ stv. Schriftführer: Sigi Weiss, Petra Gerland (Ortsbeirätin)
* Pressesprecher: Peter Altmann
* Beisitzer/-innen: Otti Altmann, Peter Altmann, Oliver Busch, Michael Engel, Alexander Fessler, Marcus Gwechenberger, Peter Heinrich (Kinderbeauftragter OBR5), Marion Himpel (Seniorenbeauftragte im OBR5), Uli Labonté, Edmund Löffler, Gunter Quaißer, Sylvia Raabe (Ortsbeirätin), Eberhard Ruoff, Uschi Wiegand, Antonia Ziegenhain